Bis vor kurzem begann der Tag oft mit einem schmerzenden Rempler am Türrahmen, der Tischkante oder dem Stuhlbein. Der Blick auf die Wanduhr zeigte einen Zeiger, der platt auf den Zahlen des Ziffernblattes stand. Der Griff in den Kleiderschrank endete oft nicht an der Kleiderstange, sondern einem Griff ins Leere. Das Einparken des Autos war stets ein mit enormer Unsicherheit behafteter Akt, obwohl er längst zum Alltag gehörte.
In der Bibliothek angekommen, fingen nach ein paar Stunden die Augen an zu brennen und zu tränen, da sie die letzte Zeit damit verbracht hatten, die Sätze in den Büchern in derjenigen Geschwindigkeit zu lesen, die mein Gehirn eigentlich dafür vorsah. Während des Konzentrierens auf die Textseite, die vor mir auf dem Tisch lag, spürte ich die Unruhe im Inneren meines Körpers, die sich anfühlte, als geriete mein Körper innerlich ins Schwitzen. Auf dem Weg zurück zum Auto bzw. zum Bus erlebte ich eine beinahe leblose Welt, die an mir vorüberzog, als gehörte ich nicht richtig dazu, als lebte ich räumlich in einer anderen Welt.
Es fiel mir zunehmend schwerer, die Bewegungen der Menschen sowie der Autos, Busse und Züge, die mich umgaben, zu verfolgen. Während sich meine Freunde im Kino an 3D-Filmen erfreuten und von HD-Fernsehern und dergleichen schwärmten, konnte ich dem Ganzen allerdings nichts Besonderes abgewinnen. Für mich war alles wie immer: platt, kontrastfrei, ohne eindeutige Ecken bzw. Rundungen und eben nicht, wie für alle anderen, zum Greifen nahe.
Doch dies alles sollte endlich ein Ende haben. Das neue Wundermittel: meine neue Brille. Sie versetzt mich prompt in die Welt, die vorher ohne Leben an mir vorbeizog. Jetzt übermittelt mir ein Blick durch die neue Brille eine lebhafte, mit klaren, voneinander trennbaren Bewegungen, gefüllte Welt. Ich lebe nun in einem Raum mit all denjenigen Gegenständen, die mich jeden Tag bereits umgeben haben, und sich nun eindeutig und in plastischer Form vor und neben mir befinden. Die Wörter in den Büchern kann ich jetzt schnell voneinander abgegrenzt wahrnehmen und sie setzen sich nun kontrastreich von der weißen Untergrundfläche der Buchseite ab.
Auch die blauen Flecken, die sonst so zahlreich meine Arme, Schienbeine und Zehen zierten, haben seit dem Tragen meiner neuen Brille deutlich abgenommen. Mein Tag beginnt nicht mehr mit dem fast obligatorisch gewordenen Rempler am Türrahmen oder dem Griff ins Leere an die Kleiderstange, sondern mit Bewegungen, die ihr vorgesehenes Ziel auch erreichen. Darüber hinaus ist auch die Unsicherheit beim Einparken verflogen, ein Meter Abstand zum nächsten Auto ist jetzt auch bei mir ein Meter Abstand und nicht ein von mir sonst stets wahrgenommener Hauch von Nichts. Die innere Unruhe, die mich innerlich zum Schwitzen brachte und mich tagtäglich begleitete, ist ebenso wie vom Winde verweht.
Auch für mich ist jetzt endlich die Welt zum Greifen nahe!
… eine lebhafte, mit klaren, voneinander trennbaren Bewegungen gefüllte Welt. …